ZitatAlles anzeigenAndré Kudelski, CEO und VR-Präsident des Lausanner Tech-Unternehmens, über Aussichten, Hackerangriffe und den US-Kabelmarkt
Durch den Wandel in der TV-Branche entstünden seinem Unternehmen zahlreiche neue Möglichkeiten, schwärmt André Kudelski. Die Digitalisierung der TV-Landschaft ist in vollem Gang und wird die Fernsehgewohnheiten verändern. Davon profitiert Kudelski, der die TV-Industrie mit Smart Cards beliefert, die sicherstellen, dass nur die Zuschauer das Programm empfangen können, die dafür bezahlt haben. Der Bereich Digital TV ist das Stammgeschäft des Tech-Unternehmens mit Wachstumsraten von über 20%. Weniger dynamisch ist die kleinere Sparte, Public Access (Zutrittssysteme für Parkhäuser und Flughäfen). Wachstum und Margen sind auch nach dem Turnaround deutlich tiefer.
—— Herr Kudelski, die TV-Branche ist in bester Verfassung. Bestätigt der Geschäftsgang des laufenden Jahres diesen Eindruck?
Ja, es zeichnet sich bereits deutlich ab, dass 2007 ein Wachstumsjahr wird. Wir haben Projekte aufgegleist, die grosses Potenzial haben. Die Möglichkeiten, die sich uns auftun, sind so zahlreich, dass wir aufpassen müssen, uns nicht zu verzetteln.
—— Sind die zu Jahresbeginn publizierten Prognosen demnach zu vorsichtig?
Wir halten an den Ende Februar publizierten Finanzzielen fest: Wir rechnen mit 930 bis 950 Mio. Fr. Umsatz und einem Betriebsgewinn von 110 bis 125 Mio. Fr.
—— Ihre Kunden geraten immer wieder in die Schlagzeilen, das Verschlüsselungssystem sei geknackt. Jüngste Beispiele sind Premiere in Deutschland und Cablecom in der Schweiz. Ist Ihre Technologie nicht mehr sicher?
Kein System unserer Branche bietet 100%ige Sicherheit für immer. Die Frage ist vielmehr, wie oft die Technologie ersetzt werden muss. Punkto Lebensdauer unserer Smart Cards sind wir führend. Der Kampf gegen die Piraterie ist unser Alltag. Ohne diese Hackerangriffe bräuchte es keine ausgeklügelte Verschlüsselungstechnologie wie die unsere. Allerdings ist der Sicherheitsstandard immer eine Preisfrage, die wir mit dem Kunden abmachen. Es ist allein seine Entscheidung, wann er wie grossen Schutz wünscht. Das trifft auf die von Ihnen erwähnten Beispiele ebenso zu.
—— Premiere kann es doch nicht egal sein, dass Tausende zuschauen, die nicht zahlen. Dem Anbieter entgehen Einnahmen.
Ich kann nicht an Premieres Stelle sprechen. Grundsätzlich bekämpfen wir die Hackerangriffe auf zwei Ebenen: Mit Software-Updates können wir den Zugang der piratierten Karten stören oder für längere Zeit unterbrechen. Ausserdem gehen wir rechtlich gegen die Piraten vor, um ihnen das Handwerk zu legen und ihnen so die Finanzmittel zu entziehen.
—— Ein Kartenaustausch von Premiere würde auf Ihre Kosten gehen. Steht einer bevor?
Im Mietmodell, wie Premiere es hat, sind Austauschprogramme Teil unserer budgetierten Kosten.
—— Sie entwickeln eine neue Kartengeneration. Wird das die Schlupflöcher stopfen?
Die neue Plattform stellt technologisch einen Riesenfortschritt dar. Wir haben mit der Entwicklung im Januar 2004 begonnen und viel in sie investiert. Jetzt haben wir eine Lösung, mit der wir auch unseren Konkurrenten einen grossen Schritt voraus sind. Es handelt sich dabei nicht bloss um eine neue Generation, sondern sie basiert auf einer komplett neuen Architektur. Die Verschlüsselungssysteme verschiedener Familien sind so unterschiedlich, dass sich ein Hackerangriff besser isolieren lässt. Das bedeutet Mehraufwand für die Hacker.
—— Wann kommen diese neuen Smart Cards auf den Markt?
Karten aus den ersten zwei Familien werden bereits ausgeliefert.
—— Wie stellen Sie sicher, dass die geheimen Verschlüsselungscodes nicht nach aussen getragen werden?
Einerseits haben wir eine sehr niedrige Fluktuationsrate in unseren Ingenieursteams. Ausserdem ist die Verschlüsselung komplex, und die diversen Bestandteile entwickeln verschiedene Teams, die voneinander unabhängig sind. Ein Element allein reicht nicht aus, um die gesamte Lösung zu entschlüsseln. Das trifft insbesondere auf die neueste Technologie zu.
—— Die Überlegenheit der neuesten Technologie müsste es Ihnen einfacher machen, die Kunden von einem erneuten Kartenaustausch zu überzeugen.
Das ist nur ein Teil unserer Verhandlungen. Unsere Kundenbeziehungen sind langfristig angelegt, und unsere technologischen Fähigkeiten sind nicht erst seit kurzem ein Argument.
—— Sie haben in einen besseren Schutz investiert. Haben Sie die Preise erhöht?
Wir haben andere Möglichkeiten, Einnahmen und Rentabilität dieser neuen Karten zu steigern: neue Funktionalitäten und zusätzliche Sicherheitsfunktionen sowie eine längere Lebensdauer.
—— Ein wirkungsvoller Schutz scheint angesichts der agilen Hackergemeinde immer kostspieliger zu werden. Wird sich Kudelski langfristig mit tieferen Margen begnügen müssen?
Im Gegenteil, je grösser wir werden, desto mehr Ressourcen haben wir, um im Verhältnis zum Umsatz einen kostengünstigen Schutz aufzubauen. Dank unserer Grösse konnten wir eine neue Verschlüsselungsplattform und gleichzeitig Lösungen für neue Übertragungsmöglichkeiten wie IP- und Mobil-TV entwickeln.
—— Mit diesen jungen Anwendungen werden Sie den Umsatz 2007 bereits auf 100 Mio. Fr. verdoppeln. Sind sie rentabel?
Dieses Jahr noch nicht, aber ich rechne damit, dass wir ab 2008 schwarze Zahlen schreiben.
—— Der lukrative US-Kabelmarkt ist seit jeher eine Knacknuss für Sie und Ihre Konkurrenten. Open TV hat alle grossen US-Kabelanbieter auf der Kundenliste. Hilft diese Verbindung, den einen oder anderen US-Kabelanbieter von der Kudelski-Lösung zu überzeugen?
In den USA sind seit Jahren Bestrebungen im Gang, den Kabelmarkt neuen Anbietern zugänglich zu machen. Der Prozess schreitet voran, und wir sind involviert. Aber es ist zu früh, etwas Konkretes mitzuteilen, ohne zu viel Hoffnung zu wecken. Nur so viel: Wir arbeiten hart daran.
—— Punkto Ertragskraft war 2006 und wird wohl auch 2007 ein Übergangsjahr. Geht es danach wieder aufwärts?
Zunächst möchte ich betonen, dass es keine verlorenen Jahre waren, in denen das Marktumfeld schwierig gewesen wäre oder wir schlecht gearbeitet hätten. Im Gegenteil, wir haben die guten Jahre genutzt und in die Zukunft investiert. Dafür haben wir Renditeeinbussen in Kauf genommen. Mit dem Resultat, dass wir mit Lösungen in IP- und Mobil-TV an vorderster Front sind.
—— Heisst das, ab 2008 dürften die Erfolge auch im Ertrag sichtbar werden?
Ja, ab 2008 können wir in Form von steigenden Margen ernten, was wir gesät haben. Doch wir werden immer Investitionsgelegenheiten wahrnehmen und die langfristigen Wachstumschancen über die kurzfristigen Renditeziele stellen.
—— Diesen Grundsatz haben Sie bereits früher befolgt, auch mit dem Aufbau von Public Access. Die Sparte hat zwar einen eindrücklichen Turnaround hinter sich, liefert aber weit tiefere Margen als Ihr Stammgeschäft Digital TV. Erwägen Sie, den Bereich zu verkaufen?
Nein, warum auch? Die Sparte ist nach der Restrukturierung bestens aufgestellt. Public Access hat mehr Wachstums- und Ertragspotenzial als früher.
—— Liquide Mittel haben Sie ja bereits genug. Sind weitere Akquisitionen geplant?
Grössere Akquisitionen stehen zurzeit nicht auf unserer Traktandenliste, höchstens kleinere Ergänzungskäufe.
—— Sie gehören noch zu den wenigen, die gleichzeitig Chief Executive Officer und VR-Präsident sind. Werden Sie daran festhalten?
In dieser vom Wandel geprägten Branche sind kurze Entscheidungswege und ein enger Kundenkontakt wichtig. Das operative Geschäft und die Strategie sind zu eng miteinander verbunden. Ich sehe daher nur Vorteile, wenn ich beide Ämter innehabe. Ausserdem ist in unserer Branche das Doppelmandat eher die Regel als die Ausnahme. Interview: Corina Drack
Zur Person
André Kudelski übernahm 1991 als 31-Jähriger von seinem Vater Stefan das VR-Präsidium und die operative Führung. Damals befand sich das Unternehmen in einer Krise. André, der nach dem ETH-Physikstudium bereits einige Jahre als Produktmanager für den Bereich Pay-TV im Familienunternehmen gearbeitet hatte, setzte nach der Stabübergabe ganz auf das Geschäft der Codier- und Decodiersysteme für Pay-TV und stellte damit die Weichen für einen rasanten Aufstieg. Kudelski ist heute weltweit führend im Bereich Verschlüsselungssysteme für TV-Signale. Der Umsatz stieg in den vergangenen 15 Jahren von 25 auf über 900 Mio. Fr. dieses Jahr. Der heute 47-Jährige ist Mitglied in den VR-Gremien von Nestlé, HSBC, Edipresse und Dassault Systèmes. CD
Lukrative Zeiten für Kudelski
Kudelskis Geschäft folgt eigenen Zyklen: Nach zwei fetten Jahren folgen in der Regel zwei magere, das heisst wachstumsschwache Jahre. Dann scheint Kudelski neue Kraft zu sammeln für den nächsten Wachstumsschub. Gegenwärtig steckt das Unternehmen im zweiten «mageren» Jahr. Das Tech-Unternehmen ist zusammen mit Erzrivale NDS – Tochtergesellschaft von Murdochs News Corp. – globaler Marktführer von Verschlüsselungssystemen für Pay-TV. Die Digitalisierung der TV-Branche eröffnet neue Marktchancen. Um diese wahrzunehmen hat Kudelski die Investitionen erhöht. So erlitt das Unternehmen nach zwei Rekordjahren 2006 einen Gewinnrückgang (ohne Ticketcorner-Gewinn). 2007 ist mit einem Umsatzsprung dank der Akquisition der US-Gesellschaft Open TV auf 930 bis 950 Mio. Fr. zu rechnen, doch der Betriebsgewinn wird den Stand von 2005 nicht übertreffen.
Doch der Boden für künftiges Wachstum ist vorbereitet. Mit Open TV kann Kudelski eine vollständigere Lösung anbieten und hat einen besseren Zugang zu den ganz grossen US-Kabelanbietern. Die Investitionen in die Entwicklung zeigen ebenfalls erste Resultate. Die Einnahmen aus neuen Anwendungen wie Internet- und Mobil-TV werden sich dieses Jahr auf 100 Mio. Fr. verdoppeln und mit zunehmender Verbreitung der neuen Verschlüsselungstechnik dürften Meldungen über Sicherheitslücken seltener werden. So sollte Kudelski strategisch und technisch gerüstet sein, um von den Möglichkeiten rund um die Digitalisierung der TV-Branche zu profitieren.
Ein klareres Bild davon, was nach 2007 zu erwarten ist, dürften die Semsterzahlen vermitteln, die Ende August veröffentlicht werden. Davon werden auch die Aktien profitieren, die mangels Neuigkeiten seit ein paar Wochen seitwärts tendieren. Ein Blick auf den Kursverlauf legt indes nahe, dass die Aktien nichts für nervenschwache Investoren sind. Die Kursschwankungen sind überdurchschnittlich heftig und erneute Rückschläge sind nicht auszuschliessen. Die Erinnerung an die Zäsur vor einem Jahr, als sich die eine wachstumsschwache Phase abzuzeichnen begann, ist noch frisch. Mit den Aktien beteiligen sich die Investoren vor allem auch an André Kudelski. Der VR-Präsident, Chief Executive Officer und Mehrheitsaktionär bestimmt die Geschicke des Unternehmens mit einer bisweilen eigenwilligen Art. Im Nachhinein hat sich sein Gespür für neue Entwicklungen meist als richtig erwiesen und für die (geduldigen) Investoren ausbezahlt. CD
Quelle: Finanz und Wirtschaft (aktuelle Ausgabe)