Olaf Scholz und Frank-Walter Steinmeier sollen verhindern, dass nach dem Weggang des großen Stabilisators Franz Müntefering die Architektur der großen Koalition ins Wanken gerät. Doch die Umbauarbeiten werden schwierig sein, denn Stararchitekten gibt es nicht mehr.
Es liegt, zugegeben, vor allem an den Rühreiern mit Krabben. Aber nicht nur. Es liegt, was man anfangs gar nicht so erwartet hätte, auch am Gastgeber, dem Mann, der einst ein Scholzomat war. Jedenfalls pilgert man gern in den Sitzungswochen des Parlaments, Mittwoch für Mittwoch, zur Hamburgischen Landesvertretung in Berlin-Mitte, um sich vom Ersten Parlamentarischen Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion im Rahmen eines Pressefrühstücks darlegen zu lassen, was die Damen und Herren Abgeordneten der Sozialdemokratie mal wieder so alles richtig gemacht haben in den vergangenen Tagen – und im Rest der Woche noch alles richtig machen werden. Olaf Scholz kredenzt dann besagte wunderbaren Rühreier mit Krabben – und ironiegepuderte Wortschleifen noch dazu. „Wenn Sie denken, dass wir uns dabei etwas gedacht haben, was die anderen gar nicht denken können, dann denken Sie richtig.“
Die Rühreier sind jetzt Geschichte – die Wortschleifen haben Zukunft. Umgekehrt wäre zwar auch nicht schlecht, aber so bleibt es wenigstens unterhaltsam.
Der neue Scholz ist ein halber Müntefering
Scholz ist längst nicht mehr der stanzenspuckende Sprechautomat, den die SPD einst als Generalsekretär im Willy-Brandt-Haus aufgestellt hatte. Scholz ist heute, mit 49 Jahren, ein ironieverliebter Politpraktiker, dessen Fähigkeiten zu flügel- wie parteiübergreifender Kooperation bemerkenswert sind, zuweilen aber – im Wortsinne schlagartig – außer Kraft gesetzt werden vom Drang, mal wieder ordentlich draufhauen zu müssen, fest und ironiefrei. Ein Brückenbauer, der gern mal was in die Luft jagt. Und ab der kommenden Woche ist der gebürtige Osnabrücker, gelernte Hamburger und ausgebildete Arbeitsrechtler auch noch Bundesminister für Arbeit und Soziales. Der neue Scholz – ein halber Müntefering.
Die andere Hälfte Müntefering, den Vizekanzler-Teil, wird Frank-Walter Steinmeier übernehmen, der Außenminister. Zusammen sollen die beiden, Steinmeier und Scholz, verhindern, dass nach dem Weggang des großen Stabilisators die Architektur der großen Koalition ins Wanken gerät. Doch schon ächzt und knackt es im Gebälk. Weil bei den nun notwendigen Umbauarbeiten manch einer meint, er hätte das Zeug zum Stararchitekten. Wo er doch bislang als Bauzeichner kaum überzeugen konnte. So wie etwa Kurt Beck.
Beck verteilt teilnahmslos die SPD-Posten
Mit erstaunlicher Selbstgefälligkeit verkündete ein sichtlich ungerührter SPD-Vorsitzender, kaum hatte Müntefering seinen Rückzug publik gemacht, welche Umbauten er schon angeordnet hat: Er habe Frank-Walter Steinmeier gebeten, das Amt des Vizekanzlers zu übernehmen. Er habe Olaf Scholz zum Arbeitsminister gemacht. Und mit erstaunlicher Kälte bedauerte Beck den Rücktritt Münteferings. Ohne eine Wort des Dankes. Ohne ein Wort des Mitgefühls. Ohne Wärme. All das überließ Beck der Kanzlerin. Denn die verlor ja einen Vertrauten, er selbst nur einen Widersacher.
Müntefering war es als erstem Politiker gelungen, die Existenz eines „Vizekanzlers“ im kollektiven Bewusstsein der Deutschen zu verankern. Sein Arbeitsministerium galt im politischen Berlin daher auch als „Vizekanzleramt“, der Ort also, an dem Müntefering die SPD Minister mit Kompetenz auf Richtlinie brachte. Die Koordination soll nun Steinmeiers Auswärtiges Amt übernehmen. Ein Unterfangen, dass allein schon daran scheitern dürfte, das der Außenminister einen Großteil seiner Arbeitszeit nun mal im Ausland verbringt und sich die Feinheiten des Steuerberatungs- und des Aufsichtsstrukturmodernisierungsgesetzes von Damaskus, Tiflis oder Karachi aus nun mal schlechter abstimmen lassen als in der Berliner Wilhelmstraße. Von der Strategie, wie man wieder auf Augenhöhe zur Umfrage-Gipfelstürmerin Merkel kommen will, ganz zu schweigen.
Wo Müntefering Koch war, darf Steinmeier Kellner sein
Außerdem muckt das Willy-Brandt-Haus auf. Zuletzt hatte es zwar immer fleißig mitgeredet – aber nicht mehr viel zu sagen. Seit geraumer Zeit schauen ranghohe SPD-Politiker neidvoll auf das Konrad-Adenauer-Haus – und wünschen sich, die SPD-Zentrale in Kreuzberg wäre ein bisschen so wie ihr CDU-Pendant in Tiergarten: Effektiv, durchschlagskräftig, gut aufgestellt. Beck will das nun, so hört man, entschieden in Angriff nehmen – und das Willy-Brandt-Haus stärker in die Ministerabstimmung einbinden. Unter Vizekanzler Müntefering war das nicht gewünscht. Von Vizekanzler Steinmeier wird das nun verlangt. Wo Müntefering Koch war, darf Steinmeier Kellner sein. Er wird begeistert sein.
Beck selbst hat den Schritt ins Kabinett gescheut. Diejenigen, die das für richtig halten, verweisen darauf, dass er sich nicht in die Kabinettsdisziplin einbinden lassen muss, dass er nicht von Amtswegen im Schatten der Regierungschefin steht, dass er sich außerhalb der Koalition besser als Kanzlerkandidat für 2009 profilieren kann als innerhalb. Diejenigen, die das für falsch halten, verweisen auf Steinmeier. Als Außenminister sei er ohnehin qua Amt populär – und jetzt werde er qua Beck auch noch mächtig. Man mag nun darüber streiten, ob Becks Verzicht auf den Vizekanzlerposten richtig oder falsch war, feige oder klug. Fakt aber ist: Müntefering ist weg – und Steinmeier da. Beck mag es an manchem mangeln, nicht aber an Widersachern.
Bleibt noch der neue Arbeitsminister, bleibt noch der neue Scholz. Der Demnächst-Minister mit Migrationshintergrund – er wanderte während der Schröder-Zeit von der Linken kommend in die Parteimitte ein – war für die SPD-Spitze schon seit längerer Zeit das, was Tim Borowski während der letzten Fußball-WM für Jürgen Klinsmann war: erster Einwechselspieler: Ob als Nachfolger von Peter Struck im Fraktionsvorsitz, ob als Nachfolger von Wolfgang Tiefensee im Verkehrsministerium – stets lief Scholz sich warm. Bis ihn Beck jetzt für Müntefering einwechselte. Als ehemaliger Innensenator von Hamburg kennt Scholz das Regieren. Als ehemaliger SPD-General kennt Scholz die Partei. Als ehemaliger Scholzomat kennt Scholz die Kälte der Politik und die Häme der Medien. Als ehemaliger Arbeitsrechtler kennt Scholz sein Thema. Arbeitsminister – das kann er. Seine künftigen Mitarbeiter dürfen sich jedenfalls schon mal freuen. Vielleicht nicht unbedingt auf die Zusammenarbeit. Aber auf das Frühstück.