[FONT="Arial Black"][SIZE="4"]Ziviler Ungehorsam gegen "Stasi 2.0"[/SIZE][/FONT]
Datenschutzdesaster hin oder her: Auf dem Hackertreffen in Berlin herrscht keine Spur von Resignation. Das renitente Motto lautet : "Volldampf voraus!"
Als wäre nichts geschehen: Das Berliner Congress Centrum am Alexanderplatz platzt aus allen Nähten. Zum alljährlichen Jahrestreffen des Chaos Computer Clubs (http://events.ccc.de/congress/2007/) sind mehr als 3000 Leute angereist. Überall sitzen junge Menschen herum, über Notebooks gebeugt, und hauen in die Tasten. Sie tragen T-Shirts mit Slogans wie "Stasi 2.0" und "Big Schäuble is watching you". 2007 wird als Jahr der großen Repressalien in die Hackergeschichte eingehen. Mit dem ab Januar in Kraft tretenden Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung, dem seit November eingeführten Fingerabdrücken im Reisepass und dem Hackerparagrafen 202c, der das "Vorbereiten des Ausspähens und Abfangens von Daten" unter Strafe stellt, haben sich die schlimmsten Befürchtungen der Computernerds erfüllt.
Von Resignation ist trotzdem nichts zu merken. Vielmehr herrscht eine trotzige Jetzt-erst-recht-Stimmung. Schon bei der Eröffnungsveranstaltung am Donnerstag wurde die "Rund-um-die-Uhr-Überwachung" scharf kritisiert. Viele Vorträge des viertägigen Kongressmarathons drehen sich um Themen wie Bürgerrechte, Privatsphäre und Datenschutz. Die Hackergemeinde versteht sich als Vorkämpfer einer digitalen Demokratie. "Der politische Entscheidungsprozess ist nicht mehr dazu angetan, um Bürgerrechte zu verbreiten", erklärte einer der Kongressveranstalter und rief zu "zivilem Ungehorsam" auf.
Hack von Parteien-Websites
Sichtbarstes Ergebnis sind die aktuellen Hackattacken. Eine lange Seite im Kongress-Wiki (http://events.ccc.de/congress/2007/Hacks) listet alle während des Kongresses gehackten und leicht veränderten Websites auf. Darunter viele Nazi-Websites, aber auch die Homepage der SPD Rostock (http://www.spdrostock.de/), wo es nunmehr heißt: "Die SPD Rostock fordert den Innenminister Schäuble auf, von seinem Amt zurückzurollen. Die Angst- und Schrecken-Politik der vergangenen Jahre ist mehr als kurzsichtig und in keiner Weise geeignet, die innenpolitischen Probleme zu lösen oder Deutschland zu beschützen." Auch die Regionalratsfraktionen der CDU Nordrhein-Westfalen (http://www.regionalrat.de/) kamen nicht ungeschoren davon: "Die CDU sieht ein, dass Hacker fuer Demokratie und Sicherheit sorgen", steht dort in der Rubrik Aktuelles zu lesen.
So deutlich ist das von politischer Seite noch nie formuliert worden, könnte man ironisch kommentieren, doch gehandelt wird längst danach. Seit vielen Jahren werden die Aktivisten des CCC zur Meinungsbildung von den Parteien herangezogen. "Die Leute, die uns regieren, lassen sich E-Mails ausdrucken und haben einen Internet-Chauffeur", beschrieb CCC-Veteran Frank Rieger beim traditionellen Jahresrückblick die grassierende Unkenntnis.
Mit unverhohlenem Stolz können die Hacker auf ein buntes Portfolio an Aktivitäten im auslaufenden Jahr verweisen. Ein regelrechter Coup ist dem CCC im September mit der Veröffentlichung des BKA-Gesetzentwurfs zur Online-Durchsuchung gelungen. Er wurde dem CCC anonym aus dem Innenministerium zugespielt. Wie ernst der Computerclub genommen wird, zeigt auch ein auf der Website des CCC lancierter Aprilscherz: "Bundestrojaner im Elster-Steuerformular" stand dort zu lesen. Aufgeregte Presseanfragen folgten prompt.
Technische Dissidenz
Wer beim diesjährigen Motto des Hackerkongresses - "Volldampf voraus!" - an die frühen Tage der Eisenbahn denkt, als Menschen, Waren und Informationen durch die Kraft des Wasserdampfes von A nach B gelangten, liegt gar nicht falsch. Heute geschieht das per Internet. Das Motto lehnt sich an die Steampunk-Bewegung an, eine Untergattung der Science-Fiction, die veraltete Technologien des Industriezeitalters mit fiktiven Zukunftsszenarien verknüpft. So fährt etwa in H.G. Wells’ Roman "Die Zeitmaschine" von 1904 ein Zeitreisender per Dampfkraft durch die Zukunft.
Vergleichbaren Steampunk gab es am ersten Kongresstag zu sehen. Eine Gruppe junger Bastler in schwarzem Frack versuchte, ein funktionstüchtiges Telex-System aus den fünfziger Jahren mit Dampfkraft anzutreiben, mit dem Internet zu verbinden und auf diese Weise den RSS-Feed des Kongresses auszudrucken. Die Aktion zur Ehrenrettung des Telex gelang, wenn auch sehr langsam. Ob der am 1. Januar von der Telekom eingestellte Dienst jedoch als Rückzugsort für Hacker in Zeiten der Vorratsdatenspeicherung taugt, bleibt dahingestellt. Immerhin: Im Gesetzentwurf ist nur von E-Mail, Fax und Internet die Rede, nicht vom altehrwürdigen Telex.
Die anachronistische Aktion war denn auch kaum ernst gemeint. Sie symbolisiert aber, dass Technologien soziale Erfindungen und Errungenschaften sind, von Menschen gemacht und genutzt. Im Selbstverständnis der Hacker kommt es darauf an, Technologien auf eine korrekte Weise zu nutzen. Und obwohl die augenblicklichen Zeichen in eine andere Richtung deuten, setzten die Hacker alles daran, auf den politischen Meinungsbildungsprozess durch "technische Dissidenz" einzuwirken. Erstes Ergebnis: Die Mitgliederzahlen beim CCC sind im letzten Jahr um ein Drittel angestiegen.