Joachim Löw feierte den geglückten Probelauf gegen Südafrika vor allem als «Signal» für das brisante Endspiel in Russland, das Ausrufezeichen des Abends aber setzte Mesut Özil.
Der 20 Jahre alte Zauber-Lehrling spielte sich bei seinem Startelf-Debüt in der Nationalmannschaft auf Anhieb in die Herzen der Fußball-Fans, übernahm beim 2:0 (1:0) in Leverkusen als Ideengeber und Torschütze unbekümmert das Kommando und entpuppte sich in nur 90 Minuten als die erhoffte Verheißung auf der Zehner-Position - und das schon für den heißen Endspurt in der Qualifikation und das Fernziel WM 2010.
«Ich wollte der Mannschaft helfen, das ist mir sehr gut gelungen. Ich werde weiter Gas geben», sagte Özil bescheiden, während um ihn herum alle ins Schwärmen gerieten. «Wir können froh sein, so einen geilen Kicker zu haben», sagte Mario Gomez. Der Schütze des ersten Tores. «Er kann einem Spiel Kreativität geben. Er hat viele Akzente gesetzt und Klasseaktionen gehabt», kommentierte Löw, der dem Juniorchef am Tag danach zur Belohnung gleich eine Einsatzgarantie im Punktspiel gegen Aserbaidschan am Mittwoch in Hannover gab.
Der Bremer ergänzte sich auch mit Kapitän Michael Ballack vielversprechend. «Er hat mich gut gecoacht», sagte Özil über Leitwolf Ballack, der den Youngster als belebendes Element auch für sein eigenes Spiel schätzt: «Es liegt mir, wenn vor mir noch eine Nummer 10 spielt, einer, der klein und wendig ist, der die Bälle verteilt, schleppt. Mesut ist so ein Spieler.»
Löws Experiment mit dem Bremer U-21-Europameister Özil als Spielgestalter in einem Fünf-Mann-Mittelfeld mit nur einem Stürmer erwies sich als wegweisend für das Spiel des Jahres am 10. Oktober in Russland. «Es war ein Auftakt für die ganz entscheidenden Wochen», bestätigte der Bundestrainer: «Wir haben jetzt Aserbaidschan vor der Brust, dann Russland und Finnland. Deswegen war es wichtig, dass wir noch einmal ein Signal auch im spielerischen Bereich gesetzt haben. Wir nehmen ein gutes Gefühl mit», resümierte Löw.
Der Bundestrainer lenkte alle Konzentration umgehend auf die Pflichtaufgabe gegen Berti Vogts' Aserbaidschaner. «Die Marschroute steht schon fest: Wir wollen das Spiel unbedingt gewinnen», sagte Löw. Nachlegen ist angesagt, allerdings musste Gomez wegen Schmerzen im rechten Knie zunächst das Training abbrechen und sogar zur Kernspin-Untersuchung ins Krankenhaus. Dort wurde kein Bruch oder Riss festgestellt. Bis zum Spiel bleiben drei Tage Zeit zur Genesung. Der Vorsprung auf die Russen, die Liechtenstein mit 3:0 besiegten, ist auf einen Punkt zusammengeschmolzen. «Natürlich ist ein Sieg Pflicht. Aber ich will mich nicht festlegen, dass es ein 2:0, 3:0 oder 4:0 sein muss», sagte Teammanager Oliver Bierhoff.
Löw war zufrieden, weil gegen Südafrika die Trainingsinhalte und Vorgaben vor den 29 569 Zuschauern in der BayArena umgesetzt worden waren. «Die Mannschaft hat Sicherheit zurückgefunden», hob Ballack hervor. Dafür machte der Kapitän auch die Abkehr vom klassischen 4-4- 2-System verantwortlich, in dem das deutsche Spiel zuletzt oft erstarrt war. «Es sieht immer gut aus, wenn wir mit fünf Spielern im Mittelfeld spielen, gerade defensiv», urteilte Ballack.
Neben Özil verkörperten auch der überforderte Marko Marin und der eingewechselte Debütant Sami Khedira eine vielleicht goldene Zukunft des deutschen Fußballs. «Man darf jetzt aber nicht einem Jugendwahn folgen», mahnte DFB-Sportdirektor Matthias Sammer. Es verblüffte aber, mit welcher Kaltschnäuzigkeit ein Jungspund wie Özil den Taktstock ergriff. Beim 1:0 von Gomez (36.) war er Ausgangspunkt der Kombination über Ballack. Nach einem Zuckerpass des aus seinem Tief auftauchenden Klose («ich bin auf einem guten Weg») krönte der Edeltechniker mit türkischen Wurzeln mit seinem ersten Tor im dritten Länderspiel seine Klasseleistung (77.).
Löw freute sich über «Dynamik und Schwung» im Spiel, allerdings gab es Leerlauf-Phasen und auch gegen den offensiv harmlosen WM- Gastgeber Abwehrschwächen, die nur wegen des tadellos haltenden René Adler nicht bestraft wurden. «Er hat eine unglaubliche Reaktionsfähigkeit gezeigt», lobte Löw den 24 Jahre alten Leverkusener. «Ich habe einen Schritt nach vorne gemacht», meinte Adler. Gegen Aserbaidschan wird aber wieder der zunächst bis zum Jahresende zur Nummer 1 erklärte Robert Enke im Tor stehen.
Löw sieht sich in seinem ausgerufenen Vierkampf zwischen Enke, Adler, Tim Wiese und Manuel Neuer bestätigt: «Die Torhüter schaukeln sich gegenseitig hoch.» Ex-Titan Oliver Kahn sprach als ZDF-Experte auf der Torhüter-Position von einem «absoluten Luxusproblem», ahnt aber aus eigener bitterer Erfahrung der WM 2006: «Irgendeinem musst du irgendwann wehtun.»
© DPA