Die Hoffnung schwindet immer mehr, die Angst wächst: Der alten Dame Hertha droht der Absturz zurück in finsterste Zeiten der Vereinsgeschichte.
Nach der fast beispiellosen Serie von acht Niederlagen und dem für die Fußball-Bundesliga untauglichen Auftritt im Krisengipfel beim 1. FC Nürnberg reagierte die sportliche Leitung von Hertha BSC mit einer Brandrede. «Hier geht es um die Existenz von Hertha BSC», unterstrich Manager Michael Preetz in einer 20-minütigen Krisen-Sitzung in der Kabine des Bundesliga-Letzten. Trainer Friedhelm Funkel kündigte seinem Personal für die kommenden Tage unbequeme Maßnahmen an, «um das Bewusstsein darauf zu lenken, wo wir stehen.» Noch nicht alle Spieler hätten den Ersnt der Lage erkannt. «So sind wir nicht einmal zweitligatauglich», sagte Kapitän Arne Friedrich.
Funkel machte den Spielern nach der bitteren 0:3 (0:2)-Lektion von Nürnberg klar, dass er auch vor personellen Konsequenzen nicht zurückschrecken wird. «Ich werde jetzt den Kader auf den Prüfstand stellen und herausfinden, auf wen ich mich verlassen kann. Das geht nicht mit Schönspielerei. Da hatten wir in Nürnberg noch zwei, drei Spieler zu viel, die werden das nächste Mal nicht mehr dabei sein», sagte der Nachfolger des beurlaubten Lucien Favre deutlich. Nach zwei Niederlagen und 1:6 Toren unter seiner Regie konnte auch Funkel die aufkommende Untergangsstimmung nicht verscheuchen. «Im Moment sieht es so aus, dass die Qualität nicht reicht», sagte Funkel unmittelbar nach dem 0:3 in Franken. 19 Stunden später zeigte er sich wieder kämpferisch: «Sicher ist es eine schwierige Situation. Der Vorteil ist, wir haben noch 25 Spiele, um da heraus zu kommen. Auch wenn im Moment nicht viele daran glauben - ich glaube daran.»
Grundvoraussetzung dafür sei aber, dass sich die Einstellung eines Teils des vom ehemaligen Trainer Favre zusammengestellten Kader sofort ändert, unterstrichen die Chefs in der «klaren und deutlichen Ansprache» (Preetz). Die aktuelle Bestandsaufnahme war in Nürnberg verheerend ausgefallen, offenbar hatten zuletzt auch einige Profis eine schlampige Berufsauffassung an den Tag gelegt. «Wenn wir so weiterspielen, gewinnen wir kein Spiel mehr. Wenn wir den Hintern nicht hochkriegen, steigen wir ab.» Drei Pünktchen aus neun Spielen - schlimmer geht's nimmer. Zuletzt war Hertha 1990/91 mit genau dieser Schreckens-Bilanz in die Saison gestartet, es folgten der Abstieg und sechs klägliche Jahre in der düsteren Unterklassigkeit.
Während der «Club» nach drei Niederlagen dank einer tadellosen Teamleistung und des Schweizer Dreierpacks durch die Tore von Albert Bunjaku (26./60.) und Daniel Gygax (18.) wieder Hoffnung im Kampf um den Klassenverbleib schöpft, bekamen die Berliner Verlieren am Sonntag bei passend grauem Himmel und Nieselregen erstmals Funkels härtere Gangart zu spüren. Statt eines lockeren Auslaufens gab es für alle eine straffe 40-minütige Laufeinheit. «Man kann sich nach so einem Spiel nicht aufs Fahrrad setzen und ausradeln. Das ist einfach Frustbewältigung», begründete der Chefcoach das ungewohnt harte Sonntags-Programm. Die von Favre noch bevorzugte Höhenkammer zur Regeneration blieb leer. «Den Anschluss finden wir nur, wenn wir die Ärmel aufkrempeln und nicht Hacke, Spitze, eins, zwei, drei spielen», betonte Funkel angesichts von 23 Gegentoren.
Während Funkel seinen Schützlingen vor und nach dem Europa-League- Spiel gegen den SC Heerenveen Dringlichkeit vermitteln muss, hat es Kollege Michael Oenning bis zum Bundesliga-Gastspiel des Altmeisters am Samstag in Hoffenheim etwas leichter. «Wir haben das Herz in die Hand genommen. Dieses überzeugende Spiel gibt uns viel Selbstvertrauen für Hoffenheim», sagte der FCN-Coach, der auch bei einer Niederlage nicht zur Debatte gestanden hätte. Oenning nahm die drei Zähler bestens gelaunt mit - die drohenden drei Punkte in Flensburg würden ihm dagegen gar nicht schmecken. Am Dienstag muss er sich beim Amtsgericht Nürnberg als angeblicher Autobahnraser verantworten.
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