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[h=1]Geplanter Verschleiß: Gutachten deckt Strategien der Hersteller auf[/h] von Peter Marwan am 21. März 2013, 14:11 Uhr Das Gutachten im Auftrag der Grünen nennt zahlreiche Beispiele für geplanten Verschleiß. Apple fällt gleich mehrfach unangenehm auf. Außerdem sprechen die Autoren Empfehlungen an die Politik aus.
Die Bundestagsfraktion der Grünen hat bei der ARGE REGIO Stadt- und Regionalentwicklung GmbH ein Gutachten zu dem in den vergangenen Monaten verstärkt diskutiertem Thema geplante Obsoleszenz in Auftrag gegeben. Das Gutachten mit dem Titel “Gekauft, gebraucht, kaputt – vom viel zu kurzen Leben vieler Produkte” wurde gestern in Berlin diskutiert.
In dem 100-seitigen Dokument, das ZDNet vorliegt, werden die wirtschaftlichen Voraussetzungen untersucht, die geplanten Verschleiß für Hersteller attraktiv und in der Praxis anwendbar machen. Außerdem führen die Autoren viele Beispiele auf, die angeblich geplanten Verschleiß zeigen. Zudem enthält das Gutachten Empfehlungen, wie die Politik Verbraucher davor schützen könnte.
“Früher hielten Elektrogeräte deutlich länger” – nur ein subjektiver Eindruck oder eine belegbare Tatsache?
Die Autoren des Gutachtens sind mit der Diskussion Vertrauten nicht unbekannt. Neben dem Studenten Janis Winzer und Professor Christian Kreis, der an der Hochschule Aalen Finanzierung und Wirtschaftspolitik lehrt, gehört dazu auch Stefan Schridde. Der Betriebswirt ist vor allem als Initiator der Initiative Murks? Nein Danke! in Erscheinung getreten und hat durch Interviews und Auftritte in den Medien die Diskussion maßgeblich ins Rollen gebracht.
In dem Gutachten wird der Begriff “geplante Obsoleszenz” sehr weit gefasst: Neben technischen Tricks, um die Lebensdauer von Produkten zu begrenzen, subsumieren die Autoren zum Beispiel vor allem in der IT- und Elektrobranche auch den durch geschicktes Marketing geförderten Austausch von eigentlich noch funktionsfähigen Produkten darunter. Das geht vielleicht ein bisschen weit, schließlich ist niemand verpflichtet, neue Produkte zu erwerben.
Die gewandelte Mediennutzung und die damit einhergehende veränderte Gerätevielfalt in den Haushalten berücksichtigt die Studie zu wenig (Grafik: Bitkom).
Auch manche der Schlussfolgerungen stehen auf wackeligen Füßen: So ist es zumindest mit den im Gutachten gelieferten Material etwas vermessen, die durchschnittlichen Ausgaben eines Vier-Personen-Haushalts von 1964 für Rundfunk-, Fernseh-, und Phonogerate auf (61,36 Euro) mit den Ausgaben von 2010 für (Rundfunkempfangsgeräte, Fernseher, Videogeräte, TV-Antennen, Datenverarbeitungsgeräte und Software, Foto-, Filmausrüstung und optische Geräte) in Höhe von 384 Euro pro zu vergleichen und daraus indirekt den Schluss zu ziehen, dass die Versechsfachung zu einem guten Teil auch auf geplante Obsoleszenz zurückzuführen ist.
Das verkennt völlig die gewandelte Bedeutung dieses Bereichs für die Verbraucher: Während 1964 viele gerade mal ein Radio aber noch nicht mal ein Festnetztelefon hatten, kann bei einem durchschnittlichen Vier-Personen-Haushalt heute von mindestens einem Fernseher, mehreren Mobiltelefonen, und Digitalkameras, mindestens einem PC und unter Umständen einer Spielkonsole mit dazugehöriger Software ausgegangen werden. Der Vergleich hinkt in der Form also.
Strategien der Hersteller bei Design und Architektur
Interessant sind dagegen die aufgezeigten Strategien, mit denen Hersteller in Design und Architektur ihrer Produkte dafür sorgen, dass ihnen einen begrenzte Lebensdauer beschieden ist. Schade ist allerdings, dass die Autoren des Gutachtens in den allermeisten Fällen keine stichhaltigen Beweise dafür liefern können, dass es sich nicht um Schlamperei oder unsachgemäße Produktentwicklung handelt, sondern um gezielt und von langer Hand vorbereitete “Sabotage” am Produkt: Denn belegter Vorsatz würde ein rechtliches Vorgehen sicher erheblich erleichtern.
Die sehr kritisch eingestellten Autoren des Gutachtens kommen zwar zu dem Schluss: “Insgesamt dürfte die Verbreitung von geplanter, gewollter oder billigend in Kauf genommener Obsoleszenz erheblich sein. Es handelt sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit um ein Massenphänomen. Ein sehr großer Teil der Produkte unseres alltäglichen Lebens durfte davon betroffen sein.” Allerdings müssen sie auch einräumen: “nach Auskunft von Ingenieuren mit jahrzehntelanger Praxiserfahrung ist wirklich absichtlich geplanter, bewusst gewollter vorzeitiger Verschleiß von Produkten durch Einbau von Schwachstellen sehr selten.”
Als weiteres Negativbeispiel nennt das Gutachten Apples MacBook Pro, weil dessen Gehäuse beziehungsweise die eingebauten Komponenten verklebt sind. Ein Austausch von Komponenten oder eine Reparatur werde dadurch erheblich erschwert oder verteuert, weil selbst für kleine Arbeiten eine Fachwerkstatt in Anspruch genommen werden müsse. Dasselbe gilt laut den Experten von iFixit übrigens auch für den neuen iMac sowie für Microsofts aktuelles Tablet Surface Pro.
Apple gleich mehrfach als schlechtes Vorbild
Kunden können den neuen iMac nicht ohne Löten um ein zusätzliches Laufwerk ergänzen (Bild: iFixit).
Konkret an den Pranger gestellt wird in dem Gutachten mehrfach Apple. Das fängt mit den Anfang der 2000er Jahre produzierten iPods an, die einen eingebauten, nicht austauschbaren Akku mit offenbar vorsätzlich begrenzter Lebensdauer von 18 Monaten hatten. Nach einer Sammelklage in den USA kam es zu einer außergerichtlichen Einigung, bei der sich Apple zu einem kostenfreien Austauschservice verpflichtete und Garantie von zwei Jahren statt 18 Monaten gewährte. “Implizit gestand Apple damit ein, geplanten Verschleiß angewendet zu haben”, heißt es in dem Gutachten.
Die Autoren schlussfolgern daher: “Verklebte Gehäuse und Komponenten gibt es auch bei anderen Produkten. Die vermeintlichen Kostenvorteile in der Herstellung werden hier zu Lasten der Kunden und der Umwelt ausgeweitet. Für Kunden kommt es hier meistens zum wirtschaftlichen Totalschaden.”
Eine weitere Obsoleszenz-Strategie demonstriert das Gutachten ebenfalls an einem Apple-Produkt. Beim iPhone 4 würden ohne Not Spezialschrauben, in diesem Fall sogenannte Pentalope-Schrauben, verwendet. Hersteller behinderten so die Möglichkeit zur Reparatur durch den Nutzer oder durch freie Werkstätten, indem eine Reparatur nur mit Spezialwerkzeug durchgeführt werden kann – welches nur zertifizierten Partnerwerkstätten überlassen werde. Dadurch könnten die Reparaturkosten hoch gehalten werden – wodurch wiederum der Anreiz größer werde, lieber gleich ein neues Produkt zu erwerben.
Auch Microsoft verklebt das Surface Pro und erschwert Reparaturen so erheblich (Bild: iFixit).
Apple gerät zwar gleich mehrfach ins Visier der Autoren, bei anderen Herstellern finden sich aber ebenfalls Konstruktionsmängel, die sich leicht als bewusste oder zumindest in Kauf genommene Maßnahmen zur Reduzierung der Nutzungsdauer interpretiert werden können.
Als eine Problemzone nennt das Gutachten die Kühleinheit in Notebooks. Das Kühlsystem des Prozessors, bestehend aus Lüfter und Kühlkörper, bedarf der regelmäßigen Wartung. Andernfalls verhindere sich dort ansammelnder Staub die Aufrechterhaltung der Kühlleistung. Aufgrund der Sorge, die Garantie könne verfallen, öffneten viele Kunden nicht das Gehäuse, sodass es infolge ausbleibender Wartung zu teuren Schäden komme.
In den meisten Fällen gebe es hierzu keine Hinweise an den Kunden oder der Lüfter sei so verbaut, dass die Wartung nur schwer und mit zusätzlichem Werkzeug möglich ist. “Auch ein softwaregesteuerter Warnhinweis wie früher am PC üblich, ist in den Produkten nicht vorgesehen”, kritisiert das Gutachten.
Für problematisch erachten die Autoren auch bei Notebooks den Umgang der Hersteller mit den Akkus. Ihnen lägen Informationen vor, wonach bei der Demontage und Untersuchung erschöpfter Notebook-Akkus gezeigt werden konnte, dass lediglich die interne Steuerung den Status “erschöpft” meldete. Der Akku selbst sei allerdings noch voll ladefähig gewesen. Gegenwärtig werde eine Sammlung “erschöpfter Akkus” durchgeführt, um an weiteren Exemplaren vertiefende Untersuchungen durchzuführen.
Problem Elektrolytkondensatoren
Von 2003 bis 2005 kam es durch geplatzte und ausgelaufene Elektrolytkondensatoren zu Problemen und Rückrufaktionen bei mehreren Herstellern von Mainbords und PCs. Offenbar waren damals minderwertige Komponenten verbaut worden: Sie überhitzten, platzten auf und liefen aus. Die ausgelaufene Flüssigkeit griff die Platine an und verursachte so einen Totalschaden.
Das Problem scheinen die Anbieter in den Griff bekommen zu haben: Elektrolytkondensatoren (ELKOs) sind Grundbausteine in elektronischen Konsumgütern und nahezu Pfennigartikel. Sie sollten aus Sicht des Herstellers zumindest nicht innerhalb der Garantiezeit den Geist aufgeben. Allerdings erfordern Kondensatoren eine gewisse Herstellungszeit – wodurch es in den Jahren mit den Problemen bei Qualitätsanbietern zu Lieferengpässen kam. Dass sie sich dann in ihrer Not bei anderen Lieferanten, bedient haben, hat sich für manche gerächt.
Aus Sicht der Verbraucher sind ELKOs aber nach wie vor ein Problem. Sind sie unterdimensioniert, verkürzt das die Lebensdauer des Geräts – laut dem Gutachten um 5 bis 10 Jahre. Zweites Problem ist, dass ELKOs wärmeempfindlich sind: Sie sollten deshalb nach Möglichkeit nicht in der Nähe von Bauteilen platziert werden, die Wärme abgeben. Darauf werde aber oft nicht geachtet: “Dieser konstruktive Planungsfehler könnte in den meisten Fällen vermieden werden und würde beträchtlich zur Verlängerung der Haltbarkeit beitragen.”
Ein weiteres, ebenfalls ärgerliches Phänomen ist laut Gutachten der häufige Defekt von Ein-Aus-Schaltern. Auch dabei handelt es sich wieder um einen Pfennigartikel, der jedoch das gesamte Produkt in Mitleidenschaft zieht. “Federungen hinter Ein/Aus-Schaltern von PC-Zentraleinheiten oder Monitoren werden statt in Metall in Plastik ausgeführt. Regelmäßige Nutzung der Schalter führt zu laufender Belastung und vorzeitiger Materialermüdung.” Federungen aus Metall seien an dieser Stelle konstruktiv deutlich besser geeignet und könnten laut Gutachten nahezu kostenneutral als Alternative verwendet werden.
Schließlich konstatierte das Gutachten bei Notebooks auch den Wackelkontakt an der Netzteilbuchse als häufigen, vorzeitigen Schaden. Auch er sei durch eine mangelhafte Konstruktion begründet. “Die Netzteilbuchse ist oft auf dem Mainboard eingelötet. Im Reparaturfall bieten Hersteller oder der Handel den teuren Austausch des Boards selber an, was Kosten in Höhe von circa 300 Euro verursache, um so einen Neukauf zu erreichen.”
Drucker mit Ablaufdatum
Den Autoren der Studie zufolge gebe es von Verbrauchern häufige Beschwerden darüber, dass vor allem Handys, Toastern, Waschmaschinen, Fernsehern, Fotoapparaten, DVD-Recordern, elektrische Zahnbürsten, Bügeleisen und ähnliche Geräte kurz nach Ablauf der Gewährleistungsfrist kaputt gehen. Und laut dem Gutachten, sind zudem “einige Drucker offenbar so konstruiert, dass nach einer vorgegebenen Zahl von Druckvorgängen der Drucker seinen Geist aufgibt.”
Sowohl in Tintenstrahl-, als auch Laserdruckern würden verschiedene Zähler eingebaut, “um so frühzeitig Neukäufe auszulösen.” Als Beispiel nennt das Gutachten einen mechanischen Zähler in einer Lasertonerkartusche, der bei 15.000 Seiten meldet, er sei leer. “Der Zähler konnte insgesamt dreimal zurückgestellt werden, um dennoch weiterhin bis nahezu 50.000 Seiten problemlos zu bedrucken.” Bei anderen Lasertonerkartuschen seien die Zähler auf Chips programmiert.
Auch in Tintenstrahldruckern, so das Gutachten, seien Zähler eingebaut, die Wartungsbedarf meldeten. Grund sei laut Herstellern, der volle Tintenschwamm, der die Tinte auffängt, die bei Druckkopfreinigungen eingesetzt wird. “Tatsachlich ist der Tintenschwamm nur zu unter einem Drittel gefüllt. Als Beleg dafür führt das Gutachten ein Video auf YouTube mit dem Titel The Dirty Little Secret Of Inkjet Printers an.
Politische Forderungen des Gutachtens
Aus der Sammlung aller Hinweise und Beispiele leiten die Autoren einige Forderungen an die Politik ab. Die erste und sicher am einfachsten umsetzbare ist die konsequente Anwendung existierender Gesetze, wobei an erster Stelle das ElektroG zu nennen ist. Ergänzend schlägt das Gutachten die Einführung eines Produktverantwortungsgesetzes und einer Produktressourcensteuer vor. Damit sollen die Hersteller in die Pflicht genommen werden.
Um – zumindest geduldete – Mini-Mängel für Hersteller unattraktiver zu machen, schlägt das Gutachten die Einführung von gesetzlichen Vorgaben zur Ersatzteilversorgung sowie ein Verbot von Quasi-Monopolen im After-Sales-Bereich vor. Zu diesem Maßnahmenbündel gehört auch die verbesserte Abgrenzung von Mangel und Verschleiß im Gewährleistungsrecht.
Als Ergänzung bestehender Regelungen schlagen die Autoren die Übernahme des Begriffs des “versteckten Mangels” in das bürgerliche Gewährleistungsrecht, die Verlängerung der gesetzlichen Gewährleistung sowie erst kürzlich eingeführte Umkehrung der Beweislast wieder aufzuheben.
Die Strategien der Hersteller bei geplantem Verschleiß
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